Rostocker Arbeitsplätze in der Windkraft-Industrie in Gefahr

Nordex will das letzte Rotorblattwerk, das in Deutschland produziert, schließen. Das bedeutet nichts weniger, als einen für die Energiewende systemrelevanten Industriestandort mitsamt dem Know-How, den sozialen, ökologischen und infrastrukturellen Vorteilen in ein Billiglohnland auszulagern. 900 Arbeitsplätze am ohnehin gebeutelten Industriestandort Rostock sind gefährdet. Rostock hatte zuletzt mit der strauchelnden MV-Werft und der anstehenden Schließung des Caterpillar-Standorts zu kämpfen und muss nun um einen der größten Arbeitgeber der Region bangen.

Nach der Mitarbeiterversammlung am 28.02.2022 war bekannt geworden, dass die Entscheidung, den Rostocker Standort zu schließen, schon vor langer Zeit gefällt worden war – ohne Betriebsräte, Wirtschaftsausschuss oder die Mitarbeiter zu informieren. „Dies ist nicht nur ein Verstoß gegen das Betriebsverfassungsgesetz, sondern auch unmoralisch und unehrlich!“, bemängeln Gewerkschaft und die Betriebsräte einstimmig. Der Vorstandsvorsitzende der Nordex SE, José Luis Blanco, kündigte im Rahmen der Mitarbeitenden-Information die Schließung des Werkes am 30.6. dieses Jahres an. Er begründete die Maßnahme damit, dass Rohstoffe mit Zöllen belegt werden, Fertigprodukte aber nicht, zudem würden Steuern das Unternehmen sehr belasten. „Diese Begründung ist natürlich vorgeschoben. Tatsächlich geht es darum, massiv Lohnkosten einzusparen“, kritisiert Bengt Bergt, SPD-Bundestagsabgeordneter und ehemaliger stellvertretender Konzernbetriebsratsvorsitzender.

Das kann von niemandem mit Verantwortung, sei es durch Mandat als Politiker, Anstellung als Manager oder durch Berufung als Aufsichtsrat, erträglich sein. Auch äußert sich empört: „Gerade jetzt, wo wir den Ausbau der Erneuerbaren Energien in ungekanntem Ausmaß vorantreiben werden, ist dies ein Signal in die falsche Richtung! Wir werden diese Entscheidung nicht hinnehmen, sondern stehen an der Seite der Kolleginnen und Kollegen in Rostock und setzen uns mit aller Kraft für sie ein.“

Vor wenigen Tagen hat die Bundesregierung das neue Ausbauziel von 110 GW für Windenergie an Land bis 2030 kommuniziert, was eine Verdoppelung der aktuell installierten Leistung in Deutschland bedeutet. Vor diesem Hintergrund erscheint die Entscheidung der Verlagerung der Produktion von Rotorblättern für Windkraftanlagen aus der EU heraus als strategischer Fehler des Nordex-Managements. Der Zugang zum deutschen Markt wird dann ungleich schwieriger.

Zusätzlich sind die Nachhaltigkeits-Vorgaben nicht mehr zu halten, die Banken für reduzierte Kreditzinsgarantien verlangen, wenn die Produktion in außereuropäische Länder mit geringeren Umwelt- und Sozialstandards abwandert. Gerade im kreditfinanzierten Windgeschäft kann der Unterschied zwischen 2 Prozent oder 4 Prozent Zinsen bei einer Marge von 2-8 Prozent über Hopp oder Top entscheiden. Wenn die Finanzierung nicht mehr gesichert werden kann, gefährdet das nicht nur die Arbeitsplätze in den Werken, sondern auch die 800 Stellen in Entwicklung, Verwaltung und Management in Hamburg.

Durch die Erhebung der Erneuerbaren Energien in die Rolle einer strategischen Ressource und der eindrucksvollen Benennung als „Freiheits-Energien“ durch den Bundeskanzler und den Finanzminister in der Regierungserklärung vom 27.02.2022, bekommt die Entscheidung des Unternehmens sogar einen unpatriotischen Beigeschmack. Die Erneuerbaren sind ein wichtiger Schlüssel zur Erreichung der Unabhängigkeit von russischen Erdgaslieferungen.

„Es braucht jetzt Bewegung von allen Seiten: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen kämpfen, die Politik muss liefern und das Management muss sich mit uns an einen Tisch setzen, damit wir gemeinsam schauen können, wie wir den Standort Rostock, Deutschland und Europa sichern, denn um nichts weniger geht es!“ kommentiert Bergt diese Situation.